„Bist du dir sicher?“ – Die kleine Frage mit großer Wirkung im (Arbeits-)Leben.
- Bastian Lindberg
- 24. Juni
- 5 Min. Lesezeit

Es gibt so Tage, da läuft alles wie geschmiert: Die Zusammenarbeit klappt, die Kommunikation fließt, und selbst die Kaffeemaschine spielt mit. Und dann gibt es die anderen Tage. Die, an denen ein Satz im Meeting wie ein Nadelstich wirkt, der Kollege am Morgen grummelig grüßt oder die eigene Präsentation irgendwie… naja, sagen wir „optimierbar“ war. Willkommen im echten Arbeitsleben!
Gerade in solchen Momenten tappe ich – und vermutlich auch du – gerne mal in die Falle der schnellen Urteile. „Der meint das doch absichtlich so!“ oder „Ich bin einfach nicht gut genug für diesen Job.“ Oder, noch beliebter: „Das ist doch ganz klar, wie das hier läuft.“
Aber ist es wirklich so klar?
Genau hier kommt eine meiner Lieblingsfragen ins Spiel: „Bist du dir sicher?“
Woher kommt diese Frage eigentlich?
Spannend ist: Die Kunst, Gewissheiten zu hinterfragen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Philosophen wie Sokrates haben schon vor über 2000 Jahren ihre Mitmenschen mit bohrenden Fragen ins Grübeln gebracht. Die berühmte sokratische Methode beruht darauf, scheinbar Selbstverständliches immer wieder zu hinterfragen – nicht, um jemanden bloßzustellen, sondern um zu echter Erkenntnis und Klarheit zu gelangen.
Auch im Zen-Buddhismus spielt das Innehalten und das Loslassen von festen Meinungen eine zentrale Rolle. Zen-Meister laden ihre Schüler regelmäßig dazu ein, die eigenen Überzeugungen zu prüfen – und dabei zu entdecken, wie oft wir uns von Vorurteilen oder alten Mustern leiten lassen. Die Frage „Bist du dir sicher?“ ist also eine moderne, alltagstaugliche Version einer uralten Weisheit:
Wahres Verstehen beginnt dort, wo wir bereit sind, unsere Gewissheiten zu hinterfragen.
Wenn der Autopilot übernimmt
Unser Gehirn liebt Abkürzungen. Es spart Energie, indem es blitzschnell Schlüsse zieht – vor allem, wenn es stressig wird. Im Arbeitsalltag kann das praktisch sein, aber manchmal auch zu Missverständnissen, unnötigem Ärger oder vorschnellen Entscheidungen führen. Die Kunst besteht darin, diesen Autopiloten ab und zu auszubremsen und sich selbst auf die Schliche zu kommen.
Stell dir vor, du sitzt im Teammeeting und hörst eine Kollegin einen Kommentar machen, der dich ärgert. Sofort bist du überzeugt: Das war ein Seitenhieb, ganz bestimmt! Doch bevor du innerlich die Verteidigungsstrategie aufbaust, halte kurz inne und frage dich: „Bin ich sicher, dass ich die Absicht richtig verstanden habe?“ Vielleicht hilft schon ein kurzer Austausch nach dem Meeting – und plötzlich stellt sich heraus, dass alles ganz anders gemeint war. Ein kleiner Perspektivwechsel, der den Tag retten kann.
Zwischen den Zeilen lesen – und manchmal auch daneben
Auch im Umgang mit Kolleg:innen neigen wir dazu, schnell zu urteilen. Da ist zum Beispiel der Kollege, der heute besonders kurz angebunden ist. „Der ist aber rücksichtslos“, denkst du vielleicht.
Doch wie wäre es, sich zu fragen: „Bin ich sicher, dass ich die ganze Geschichte kenne?“ Vielleicht steckt hinter dem Verhalten Stress, ein schwieriges Kundengespräch oder private Sorgen. Ein bisschen mehr Nachsicht kann hier Wunder wirken – und das Miteinander gleich viel entspannter machen.
Wenn der innere Kritiker zu laut wird
Nicht nur bei anderen, auch bei uns selbst sind wir oft gnadenlos. Ein Fehler in der Präsentation, ein verpatzter Kundentermin – und schon flüstert das innere Stimmchen: „Ich bin nicht gut genug für diesen Job.“
Auch hier lohnt sich ein kurzer Stopp: „Bin ich sicher, dass dieser Fehler meine Fähigkeiten komplett definiert?“ Die Antwort ist fast immer: Nein. Fehler sind keine Endstation, sondern oft der Anfang von Entwicklung – vor allem, wenn wir sie gemeinsam reflektieren. Ein Gespräch im Team, eine Portion Selbstmitgefühl und die Bereitschaft, daraus zu lernen, machen aus dem Stolperstein eine wertvolle Erfahrung.
Konflikte: Recht haben oder offen bleiben?
Besonders in hitzigen Diskussionen oder festgefahrenen Situationen ist es verlockend, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren.
Doch was passiert, wenn wir uns selbst fragen: „Bin ich sicher, dass ich recht habe?“ Vielleicht ist die eigene Sichtweise nur eine von mehreren möglichen – und ein Perspektivwechsel öffnet plötzlich neue Wege zur Lösung. Eine kleine Pause, ein tiefer Atemzug und die Bereitschaft, auch andere Sichtweisen gelten zu lassen, können aus einem Konflikt einen echten Lernmoment machen.
Entscheidungen treffen: Unsicherheit als Kompass
Vor großen Entscheidungen – ob Jobwechsel, neues Projekt oder Teamveränderung – meldet sich oft ein ganzer Chor von Unsicherheiten. Hier hilft es, die eigene Sicherheit auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Wo stehst du gerade? Und was bräuchtest du, um auf eine höhere Zahl zu kommen? Vielleicht fehlen noch Informationen, vielleicht ein Gespräch mit jemandem, der schon einen ähnlichen Schritt gegangen ist. „Bin ich sicher, dass meine Ängste wirklich begründet sind?“ Diese Frage schafft Raum, Unsicherheiten zu prüfen, statt sich von ihnen lähmen zu lassen.
Zwischen Flurfunk und Fakten
Auch Gerüchte und Halbwahrheiten sind im Arbeitsalltag treue Begleiter. Schnell ist man empört über eine interne Nachricht oder ein Gerücht, das die Runde macht.
Doch bevor du dich hineinsteigerst, frag dich: „Bin ich sicher, dass diese Information stimmt?“ Oft hilft es, die Fakten zu prüfen oder direkt bei der verantwortlichen Person nachzufragen, bevor die Welle der Aufregung durchs Team rollt.
Beziehungen stärken – im Team und in der Führung
Und schließlich: Die Frage „Bist du dir sicher?“ ist nicht nur ein Werkzeug für den eigenen Kopf, sondern auch ein Türöffner für bessere Zusammenarbeit. Sie lädt dazu ein, Missverständnisse frühzeitig zu klären, gemeinsam zu reflektieren und eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen – egal ob im Team oder in der Führungsarbeit. Sie erinnert uns daran, dass wir selten die ganze Geschichte kennen und dass echtes Wachstum immer von innen – und miteinander – entsteht.
Anwendungs-Tipps: Wie du die Frage im Alltag nutzen kannst
1. Bewusst innehalten: Wenn du merkst, dass du dich über etwas ärgerst, verunsichert bist oder vorschnell urteilst, nimm dir einen kurzen Moment. Einmal tief durchatmen – und dann die Frage stellen: „Bin ich sicher?“
2. Skala der Sicherheit: Gerade bei Entscheidungen kann es helfen, die eigene Sicherheit auf einer Skala von 1–10 einzuschätzen. Wo stehst du? Was fehlt noch, um sicherer zu werden? Wer oder was könnte dir dabei helfen?
3. Im Team etablieren: Lade dein Team ein, die Frage gemeinsam zu nutzen. Zum Beispiel in Meetings: „Sind wir uns wirklich alle sicher, dass wir das gleiche Verständnis haben?“ So entsteht eine Kultur des Nachfragens statt des Übergehens.
4. Im Konfliktfall: Nutze die Frage als Pausenknopf: „Bin ich sicher, dass ich recht habe?“ Oft reicht schon dieser Moment, um die eigene Haltung zu überprüfen und Raum für andere Sichtweisen zu öffnen.
5. Im Umgang mit Gerüchten: Bevor du dich aufregst oder etwas weitererzählst: „Bin ich sicher, dass das stimmt?“ Lieber einmal mehr nachfragen als vorschnell urteilen.
6. Im Selbstcoaching: Wenn der innere Kritiker laut wird: „Bin ich sicher, dass mein Fehler alles über mich aussagt?“ Wahrscheinlich nicht – und das ist auch gut so.
Fazit: Neugier statt Gewissheit
„Bist du dir sicher?“ ist mehr als eine Frage – es ist eine Einladung, genauer hinzuschauen, zu reflektieren und gemeinsam zu wachsen. Wer diese Haltung in Team- und Führungsarbeit etabliert, legt den Grundstein für ein Arbeitsumfeld, das nicht nur effizient, sondern auch menschlich, offen und widerstandsfähig ist.
Mein Impuls für dich: Welche Situation aus deinem Arbeitsalltag fällt dir ein, in der „Bist du dir sicher?“ einen Unterschied machen könnte? Probiere es aus – manchmal reicht schon ein einziger Moment des Innehaltens, um die Richtung zu ändern.