Führungsstärke in unsicheren Zeiten mit dem "Aufmerksamkeits-Objektiv"
- Bastian Lindberg
- 9. Okt.
- 13 Min. Lesezeit

Seien wir ehrlich. Die Welt ist komplex und im Wandel. Massive Veränderungen sind im Gange, und nicht alle sind angenehm. Die Gesellschaft scheint polarisiert und gespalten. Unsere Beziehungen zu Institutionen und der Wahrheit verändern sich. Die Wirtschaft schwankt ständig.
"Du wirst zu dem, worauf du deine Aufmerksamkeit richtest." Epictetus
Vor kurzem habe ich wieder eine Retreat-Woche in meinem „Embodied Life“-Programm erlebt und dort haben wir auch intensiv mit unserer Aufmerksamkeit gearbeitet. Wir haben dabei vor allem zwei Modi erforscht: fokussierte, gerichtete Aufmerksamkeit und weiche, diffuse Aufmerksamkeit. Und mir ist klar geworden, wie entscheidend diese beiden Qualitäten – und das bewusste Wechseln zwischen ihnen – für den Umgang mit und eine wirksame Führung im Zusammenhang mit Unvorhersehbarkeit und Ambiguität sind.
Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir Mehrdeutigkeit erleben?
Das Gehirn hat eine natürliche Abneigung gegen Unsicherheit – evolutionär betrachtet empfindet es diese sogar als eine Art Schmerz. Um Unsicherheit zu vermeiden, spinnt es Geschichten, um Lücken zu füllen und Erklärungen zu liefern. Dabei ist das Gehirn so beeindruckend leistungsstark, dass es uns erlaubt, uns lebhaft vorzustellen, wie wir Herausforderungen erfolgreich abschließen können – eine Kernfähigkeit der menschlichen Kreativität.
Dr. Robert Burton, ehemaliger Leiter der Neurologie an der University of California im San Francisco-Mt. Zion Hospital, betont: „Nur in der Abwesenheit von Gewissheit können wir offen, geistig flexibel und bereit sein, alternative Ideen in Betracht zu ziehen.“ Dennoch fühlt sich Gewissheit unglaublich befriedigend an – fast so, als ob man das letzte Stück eines schwierigen Puzzles einfügt.
2009 zeigten Forscher des National Eye Institute, dass das Gehirn auf die Aussicht, neue Informationen zu entdecken, genauso reagiert wie auf andere Belohnungen wie Essen oder Trinken – mit einem kleinen Dopaminschub.
Dr. Burton geht sogar noch weiter: „Gewissheit kann an die Macht einer Sucht heranreichen.“
Wir streben nach Gewissheit, weil sie uns ein großartiges Gefühl gibt, und meiden Unsicherheit, weil sie... nun ja, genau das Gegenteil bewirkt.
Das Streben nach Gewissheit ist ein Überlebensinstinkt
"Unser Gehirn und unser Körper haben sich entwickelt, um unser Überleben zu sichern – Evolution basiert auf Misserfolgen, nicht auf Erfolgen", erklärt der Neurowissenschaftler und Autor Dr. Beau Lotto. Unsere Spezies wäre längst ausgestorben, hätten wir diesen cleveren Trick unseres Gehirns nicht entwickelt. Doch obwohl wir die Säbelzahnkatzen überlebt haben, löst ein Gefühl der Unsicherheit immer noch eine Bedrohungsreaktion in unserem limbischen System aus.
Dieser natürliche Überlebensinstinkt ist bemerkenswert. Allerdings führt er dazu, dass wir Gewissheit bevorzugen und Unsicherheit meiden. Wir tendieren instinktiv dazu, Wissen dem Nichtwissen vorzuziehen. Das Gehirn möchte Entscheidungen basierend auf den verfügbaren Informationen treffen und das Gesamtbild vervollständigen – selbst dann, wenn es besser wäre, offen zu bleiben.
Wenn das Gehirn das Bild nicht schnell vervollständigen kann, empfinden wir Unbehagen, Orientierungslosigkeit oder Angst. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich einzugestehen, dass sie etwas nicht wissen. Der gesellschaftliche Druck, gerade im Arbeitsumfeld, immer Antworten parat zu haben, ist enorm.
Die Navigation durch Mehrdeutigkeit erfordert jedoch Arbeit.
Es kann anstrengend sein. Selbst wenn man denkt, dass man sich entspannt und es loslässt, arbeitet unser Gehirn im Hintergrund weiter, um Unbekanntes zu lösen und Verbindungen herzustellen. Es ist ein Muskel, der mit Geduld und Anstrengung aufgebaut werden kann - keine woo-woo, abstrakte Sache, die man hat oder nicht hat. Und genau hier kommt unsere Aufmerksamkeit ins Spiel. Genauer gesagt, unser "Aufmerksamkeits-Objektiv".
Vom Tunnelblick zur Weitsicht – und wieder zurück

Fokussierte, gerichtete Aufmerksamkeit – das klare, scharfe Sehen
Wenn wir fokussieren, richten wir unsere Aufmerksamkeit wie einen Lichtstrahl auf ein kleines, genau definiertes Feld. Es ist das konzentrierte Hinsehen, das Detailgenaue, das „reinzoomen“. In der Führungswelt ist dies die Fähigkeit, klare Ziele zu setzen, Prioritäten zu erkennen, Details zu beachten, Aufgaben und Projekte zu ende zu verfolgen und Entscheidungen auf Basis von Fakten und Analysen zu treffen. Ohne diese Fähigkeit würden wir uns in der Komplexität verlieren, ziellos umherschweifen oder wichtige Details übersehen.
Im Körper fühlt sich das oft enger an – die Aufmerksamkeit „zieht sich zusammen“. Man kann es manchmal an der Mimik erkennen, wie die Stirn sich runzelt, die Augen klein werden, der Kiefer vielleicht anspannt. Diese Aufmerksamkeitsform ist sehr nützlich, wenn es drauf ankommt. Und riskant, wenn wir zu lange drin bleiben: Wir übersehen Signale und andere Optionen, verlieren Beziehungswahrnehmung, verwechseln Tempo mit Wirkung.

Weiche, diffuse Aufmerksamkeit – das offene, weite Wahrnehmen
Hier weitet sich unser Blick, wird weich und offen. Es ist das „rauszoomen“, das Wahrnehmen von Zusammenhängen, Stimmungen und dem, was zwischen den Zeilen liegt. Diese Form der Aufmerksamkeit ist für Führungskräfte essenziell, um in Zeiten von Ungewissheit und Ambiguität die größeren Muster zu erkennen, kreative Lösungen zu finden und empathisch auf Menschen einzugehen.
Im Körper wird es weiter, freier. Der Blick ist eher nach vorne oder oben gerichtet, die Schulter fallen nach hinten. Sehr nützlich, wenn es komplex wird: neue Optionen tauchen auf. Und riskant, wenn wir uns darin verlieren: keine Priorität, kein Abschluss, alles gleich wichtig.
Interessant ist, das wir oft eine bestimmte Grundtendenz haben. D.h. wir sind eher in dem einen oder anderen Zustand zuhause. Wir alle kennen vermutlich so Stereotypen wie "Erbsenzähler" oder "Hans Guck in die Luft". Und gesamtgesellschaftlich, auch wie vorhin schon beschrieben, evolutionär bedingt, gibt es einen deutlichen Überhang zur fokussierten, fixierenden Aufmerksamkeit. Denn sie schafft vermeintlich Sicherheit.
Die Kunst des Wechselspiels
Entscheidend ist hierbei, dass es nicht um „entweder-oder“ geht, sondern um die flexible Fähigkeit, zwischen fokussierter und diffuser Aufmerksamkeit zu wechseln – je nach Situation, Kontext und Bedürfnis. Führungskräfte, die diese Balance beherrschen, navigieren souveräner durch komplexe Herausforderungen: Sie können tief eintauchen, um Details zu klären, und gleichzeitig den Blick heben, um das große Ganze im Auge zu behalten. Zoomen-können und Ent-zoomen-können, Fokussieren und Entfokussieren ist daher aus meiner Sicht eine wichtige Führungsfähigkeit.
Warum das für Führung in unsicheren Zeiten entscheidend ist
Die gegenwärtige Komplexität verlangt eine Mehrkanal-Wahrnehmung von uns: Erst das Feld erfassen (diffus), dann die notwendigen Prioritäten setzen und Entscheidungen fassen. Ambiguität wiederum braucht Ambidextrie. D.h. Innovation und Regelbetrieb, erkunden und ausführen, experimentieren (diffus) und optimieren (fokussiert) gleichzeitig. Auch Beziehung und Ergebnis erfordern kein Entweder-oder, sondern und: Präsenz im Raum (diffus) und Klarheit im nächsten Schritt (fokussiert). Das Nervensystem dient uns dabei als Navigationsinstrument: Wer seinen Aufmerksamkeitsmodus regulieren kann, reguliert auch Spannung, Gruppendynamik und Entscheidungsqualität. Wie bei einem Objektiv können wir den Winkel verstellen und nah ran oder weit hinaus zoomen.

Wie uns das "Aufmerksamkeits-Objektiv" konkret helfen kann
Mehrdeutige Signale statt klarer Kausalität
In unsicheren Umfeldern sind Daten oft lückenhaft oder widersprüchlich. Diffuse Aufmerksamkeit hilft, schwache Signale und Muster zu erkennen („Da verändert sich was im Kundenfeedback…“), während fokussierte Aufmerksamkeit die Übersetzung in konkrete Hypothesen und Experimente ermöglicht („Wir testen in zwei Märkten genau diese Anpassung“).
Beispiel: Dein Vertrieb meldet stabile Zahlen, Social Listening zeigt jedoch neue Bedürfnisse. Zuerst weiten wir den Blick: Wir hören Muster und Geschichten, nehmen die verschiedenen Signale wahr und sammeln Eindrücke.
Dann fixieren wir: Wir wählen eine Zielgruppe aus, erstellen eine Landingpage und legen fest, dass wir das Ergebnis nach 10 Tagen auswerten.
Tempo hoch, Ressourcen knapp
Wenn sich die Lage schnell ändert, ist dauerhaftes Durchpowern im Fokus-Modus verführerisch – aber riskant. Der Weitwinkel schafft kurze Pausen zum „Lagebild aktualisieren“. So vermeidest du, sehr effizient das Falsche zu tun.
Beispiel: Kundenbeschwerden. Zuerst fokussieren wir: Wir identifizieren den Engpass in der Produktion und definieren eine Sofortmaßnahme, um die akute Störung zu beheben. Dabei richten wir die Aufmerksamkeit gezielt auf das Problem, um schnell handlungsfähig zu sein.
Dann weiten wir den Blick: Wir zoomen heraus und betrachten die Nebenwirkungen unserer Maßnahme im System. Welche Auswirkungen entstehen an anderen Stellen? Gibt es einfache Workarounds, die das System insgesamt entlasten? Die weiche Aufmerksamkeit hält das Feld offen und lässt zu, dass verschiedene Perspektiven nebeneinanderstehen, ohne sofort bewertet oder ausgeschlossen zu werden.
Dieses Vorgehen hilft, effizient und zugleich umsichtig zu handeln – so vermeiden wir es, das Falsche sehr effektiv zu tun.
Viele Stakeholder, viele Wahrheiten
Ambiguität bedeutet: Mehrere Perspektiven sind gleichzeitig gültig. Weiche Aufmerksamkeit hält das Feld offen, bis sich ein tragfähiger Kern zeigt. Fokussierte Aufmerksamkeit klärt anschließend Verantwortlichkeiten und nächste Schritte.
Beispiel: IT, Vertrieb und Compliance bewerten ein neues KI-Tool unterschiedlich. Zuerst weiten wir den Blick: Wir nehmen alle Perspektiven wahr – die Bedürfnisse der Nutzer, mögliche Risiken und Chancen. Die weiche Aufmerksamkeit hält das Feld offen und lässt zu, dass mehrere Sichtweisen nebeneinander stehen können, ohne sofort bewertet oder ausgeschlossen zu werden.
Dann fokussieren wir: Wir wählen drei wichtige Kriterien aus, legen fest, dass die Entscheidung bis Freitag getroffen wird, und benennen ein Pilotteam, das das Tool testet. So entsteht Klarheit über Verantwortlichkeiten und nächste Schritte.
Dieses Vorgehen hilft, Ambiguität auszuhalten und zugleich handlungsfähig zu bleiben.
Innovation braucht Raum und Richtung
Neue Ideen entstehen selten im Tunnelblick. Der weite Modus lädt Überraschung ein; der fokussierte Modus bringt Ideen auf die Strasse.
Beispiel: Strategy Sprint. Am ersten Tag weiten wir den Blick: Wir sammeln Zukunftssignale, stellen uns mutige „Was, wenn…“-Fragen und entdecken Muster, die uns überraschen und inspirieren. Dieser diffuse Modus lädt ein, Neues zu denken und Grenzen zu überschreiten – ganz ohne Tunnelblick.
Am zweiten Tag fokussieren wir: Wir wählen zwei vielversprechende Wetten aus, definieren klare Messkriterien und planen die nächsten Experimente. So bringen wir die frischen Ideen auf die Straße und machen sie handhabbar.
Dieses Wechselspiel aus Weite und Fokus schafft Raum für Kreativität und sorgt gleichzeitig dafür, dass aus Visionen konkrete Schritte werden.
Emotionale Felder intelligent nutzen
Unsicherheit erzeugt Spannung: Angst, Ungeduld, Verteidigung. Weiche Aufmerksamkeit spürt das Klima (Körpersprache, Tonfall, Energie) und macht emphatischer (nicht nur meine Sicht zählt). Fokussierte Aufmerksamkeit bleibt beim Thema und übersetzt in handhabbare Schritte.
Beispiel: Zuerst weiten: „Was nehme ich gerade wahr – in mir, im Raum, bei den anderen?“ Vielleicht spüre ich eine unterschwellige Nervosität oder Zurückhaltung, erkenne Anzeichen von Stress in der Körpersprache oder höre eine gewisse Schärfe im Tonfall. Kann ich diese Atmosphäre annehmen, ohne sofort zu bewerten oder zu reagieren? Diese offene, weiche Aufmerksamkeit lässt mich empathischer werden und öffnet den Raum für echtes Verstehen.
Dann fokussieren: „Was ist jetzt konkret zu tun, damit die Präsentation gelingt?“ Ich bringe die Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche, formuliere klare nächste Schritte und verteile Aufgaben. So entsteht aus der weiten Wahrnehmung eine handhabbare Struktur, die das Team handlungsfähig macht.
Bessere Entscheidungen durch Rhythmus statt Perfektion
In komplexen Situationen sind „richtige“ Entscheidungen selten sofort erkennbar. Ein guter Entscheidungsrhythmus (Weitwinkel öffnen – Laser verdichten) reduziert Risiko.
Beispiel: Quartalsplanung. Zuerst weiten: „Was passiert gerade im Umfeld?“ Ich öffne meinen Weitwinkel und nehme Trends, Learnings aus dem letzten Quartal und mögliche Risiken wahr. Diese breite Wahrnehmung hilft, das Spielfeld umfassend zu verstehen und blinde Flecken zu vermeiden.
Dann fokussieren: „Welche drei Prioritäten setzen wir jetzt?“ Ich verdichte die Aufmerksamkeit wie einen Laserstrahl, definiere klare Budgets und benenne Verantwortliche. So entsteht eine konkrete, handhabbare Planung.
In Woche 4 folgt ein kurzes Re-Zoomen: „Stimmt die Richtung noch?“ Ich öffne den Blick erneut, um auf Veränderungen zu reagieren und gegebenenfalls nachzujustieren. Dieser Rhythmus aus Weite und Fokus reduziert das Risiko, falsche Entscheidungen zu treffen, und schafft Flexibilität im Umgang mit Komplexität.
Wie sich das im Inneren einer Führungsperson spiegelt
Neben diesen praktischen Anwendungssituation, wie wir auf Dinge im Außen passender reagieren können, wenn wir den richtigen Modus wählen, so hat die jeweilige Aufmerksamkeits-Einstellung auch Einfluss auf unser "Inneres".
Innere Haltung (Mindset)
Von Kontrolle zu Ko-Kreation: Im diffusen Modus wächst die Bereitschaft, nicht alles zu wissen – Neugier statt Rechthaben. Im fokussierten Modus wird Verantwortung klar übernommen – Commitment statt Vernebelung.
Von Eindeutigkeit zu Ambiguitätstoleranz: Diffus erlaubt „noch-nicht-wissen“ auszuhalten; Fokus schafft Orientierung trotz Unschärfe.
Von Problem- zu Hypothesen-Denken: Diffus generiert Optionen, Fokus prüft mutig – „Testen statt zementieren“.
Denken (Kognitionen)
Metadenken: „Welcher Aufmerksamkeitsmodus passt jetzt?“ – das Denken denkt über sein eigenes Denken nach.
Perspektivwechsel: Diffus weitet das Repertoire (Kunde, System, Zukunft), Fokus wählt bewusst eine Sicht für die Entscheidung.
Zeithorizont-Schärfung: Diffus arbeitet mit Szenarien und Möglichkeiten (Mid- bis Long-Term), Fokus mit klaren nächsten Schritten (Short-Term).
Fühlen (Emotionen und Nervensystem)
Regulierte Präsenz: Diffus beruhigt Hyperfokus-Nervosität, Fokus bündelt zerstreute Energie. Beides senkt Stressspitzen.
Feinere soziale Resonanz: Diffus erhöht Empathie und „Feldintelligenz“; Fokus schützt vor emotionalem Überschwappen durch klare Grenzen.
Mut und Zuversicht: Diffus nährt Verbundenheit und Sinn, Fokus erzeugt Wirksamkeitserleben – zusammen entsteht tragfähiger Mut.
Gelingt uns das bewusste Wechseln nicht, verharren wir unbewusst zu lange einem Modus. Und das hat Konsequenzen für uns, das Team und die gesamte Organisation.
Das kann zu einer einseitigen Arbeitsweise führen, die Kreativität hemmt, Stress verstärkt und die Zusammenarbeit erschwert. Langfristig leidet nicht nur die Produktivität, sondern auch die Zufriedenheit aller Beteiligten.
Ein bewusster Wechsel zwischen verschiedenen Arbeitsmodi ermöglicht hingegen eine ausgewogene Herangehensweise. Dadurch können wir unsere Stärken besser nutzen, flexibel auf Herausforderungen reagieren und innovative Lösungen fördern. Teams profitieren von einer verbesserten Dynamik, während die Organisation insgesamt agiler und widerstandsfähiger wird. Letztlich trägt dies nicht nur zur Erreichung der Ziele bei, sondern steigert auch das Wohlbefinden und die Motivation aller Beteiligten.
Typische Führungsfehler – und wie das Pendeln hilft
Zu lange fokussiert: „Wir arbeiten hart, aber am Falschen.“
Manchmal sind wir so sehr auf ein Ziel oder eine Aufgabe fixiert, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Du arbeitest hart, gibst alles, aber irgendwie merkst du: „Ich arbeite am Falschen.“ Genau hier liegt das Problem: Zu viel Fokus auf das Falsche kann genauso kontraproduktiv sein wie gar kein Fokus. Die Lösung? Mach einen Schritt zurück. Öffne dein Feld, schau dir die größeren Zusammenhänge an und stelle sicher, dass du wirklich an den richtigen Dingen arbeitest, bevor du dich erneut fokussierst. Es ist, als würdest du erst die Landkarte betrachten, bevor du dich auf eine Route festlegst. So kannst du sicherstellen, dass deine Energie in die richtige Richtung fließt.
Zu lange diffus: „Wir sehen viel, aber kommen nicht voran.“
Auf der anderen Seite gibt es die Momente, in denen wir uns in Möglichkeiten verlieren. Du hast zig Ideen, siehst so viele Optionen, aber am Ende bleibt alles diffus. Du fühlst dich wie ein Hamster im Rad: viel Bewegung, aber kein Vorankommen. Hier hilft ein klarer Plan. Setze dir z.B. eine Timebox – also einen festen Zeitrahmen – und entscheide dich bewusst für eine Sache, an der du arbeiten möchtest. Und dann: Committe dich. Wirklich. Keine Ablenkungen, keine Zweifel. Arbeite fokussiert an dieser einen Sache, bis du Ergebnisse siehst. Das gibt dir nicht nur ein Gefühl von Fortschritt, sondern auch die Klarheit, die du brauchst, um die nächsten Schritte zu planen.
Falscher Modus zur falschen Zeit.
Man steckt mitten in einer Diskussion, und plötzlich wird der falsche Modus aktiviert: Bei Konflikten wird jedes Detail durchgekaut, während bei kreativen Themen direkt To-Dos verteilt werden. Das kann frustrierend sein und oft zu Missverständnissen führen.
Ein einfacher Trick, um das zu vermeiden: Mach den Modus bewusst! Sag zum Beispiel: „Lass uns für 3 Minuten Weitwinkel denken und dann entscheiden.“ Dieser Ansatz schafft Klarheit und gibt Raum für die richtige Dynamik. Ob es darum geht, kreative Ideen zu sammeln oder Konflikte zu lösen – der bewusste Wechsel des Modus kann Wunder wirken.
Die Balance zwischen Fokus und Offenheit zu finden, ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich. Es geht darum, flexibel zu bleiben, ohne sich zu verzetteln, und gleichzeitig entschlossen zu handeln, ohne scheuklappenartig vorzugehen.
Sprachliche Mikro-Switches: Den Modus gezielt ändern
Die Art und Weise, wie wir Fragen formulieren, kann maßgeblich beeinflussen, wie Gespräche verlaufen und welche Dynamik entsteht. Sprachliche Mikro-Switches sind dabei ein wirkungsvolles Werkzeug, um den Modus eines Gesprächs bewusst zu steuern – sei es, um offen zu explorieren oder gezielt zu fokussieren.
Für eine offene und kreative Atmosphäre eignen sich Fragen wie:
„Was fällt euch auf?“
„Welche Muster seht ihr?“
„Was fehlt noch im Bild?“
Solche Fragen laden dazu ein, Perspektiven zu erweitern, Ideen zu sammeln und neue Ansätze zu entdecken. Sie schaffen Raum für Reflexion und fördern ein breites Denken.
Wenn es jedoch darum geht, konkrete Entscheidungen zu treffen oder klare nächste Schritte zu definieren, helfen fokussierende Fragen:
„Was ist die eine Sache?“
„Worauf committen wir uns heute?“
„Wer macht was bis wann?“
Diese Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, fördern Klarheit und sorgen für Verbindlichkeit im Team.
Woran du im Alltag merkst, dass sich deine Haltung verändert
Im Alltag gibt es subtile, aber bedeutsame Anzeichen dafür, dass sich deine innere Haltung verschiebt. Diese Veränderungen spiegeln sich in Sprache, Körper, Zeitmanagement und dem Feedback deines Teams wider.
In der Sprache bemerkst du vielleicht, dass du mehr Fragen stellst, bevor du urteilst. Sätze wie „Was sehe ich noch nicht?“ werden häufiger, und deine Commitments werden klarer, etwa in der Form von „Ich erledige diese eine Sache bis Freitag“.
Auch dein Körper reagiert: Ein weicherer Blick und eine tiefere Atmung treten vor Entscheidungen öfter auf. Zudem strahlst du beim Entscheiden eine aufrechte und ruhige Präsenz aus, die Stabilität vermittelt.
Dein Kalender wird ebenfalls zum Spiegel deiner Haltung. Du planst bewusster Zeit zum Reflektieren ein, schützt deine Fokusphasen und etablierst regelmäßige Retrospektiven als feste Bestandteile deines Alltags.
Das Feedback aus deinem Team zeigt ebenfalls eine Veränderung. Aussagen wie „Ich fühle mich gehört“ oder „Wir wissen, was wir tun“ werden häufiger. Diese Rückmeldungen sind ein Zeichen für Klarheit, Vertrauen und ein gemeinsames Verständnis.
Diese kleinen, aber kraftvollen Hinweise zeigen, dass sich deine Haltung auf positive Weise wandelt und du bewusster, klarer und präsenter wirst.
Embodied Leadership beginnt im Körper – ein Ansatz, der uns lehrt, dass echte Führung bei uns selbst anfängt. Es geht darum, aufmerksam zu sein: wahrzunehmen, bevor wir urteilen, und uns zu öffnen, bevor wir uns in Details verlieren. Presence statt Performance – und dein Körper ist dabei ein wichtiges Werkzeug.
Manchmal merken wir dann, dass wir aus dem Gleichgewicht geraten. Zu viel Fokus? Das zeigt sich oft durch flachen Atem, einen angespannten Kiefer oder einen verengten Blick. Zu viel Diffusion? Das erkennt man an einem weichen Muskeltonus, einem ausweichenden Blick oder sprunghaften Gedanken.
Hier kannst du gegensteuern: Vertiefe deine Atmung. Nimm die Peripherie deines Blickfeldes wahr. Spüre dein Körpergewicht auf dem Boden. Wähle ein Detail, auf das du dich konzentrierst – oder weite deinen Blick bewusst. Kleine Veränderungen können Großes bewirken und helfen dir, wieder in Balance zu kommen. Embodied Leadership ist eine Reise, die dich näher zu dir selbst führt und dich befähigt, auch andere mit Klarheit und Präsenz zu führen.
Mikro-Praxis: 5 Minuten, die alles ändern können
Diese kleine Übung kannst du mit in Meetings und 1:1s nehmen:
Ankommen – 3 Atemzüge
Einatmen: Länge wahrnehmen
Ausatmen: Gewicht auf dem Stuhl spüren
Blick weich in die Peripherie, Schultern sinken lassen
Diffused Attention – 60 Sekunden
Nimm den Raum als Ganzes wahr: Licht, Geräusche, Körperkontaktflächen.
Weite den Blick so, als würdest du links und rechts „auch noch sehen“.
Frage innerlich: Was ist hier gerade präsent, ohne dass ich es mache?
Focussed Attention – 60 Sekunden
Wähle eine Sache: die wichtigste Frage, ein Wort im Protokoll, den Gesichtsausdruck einer Person.
Bleib dran. Benenne konkret, was du wahrnimmst. Verdichte in einen Satz.
Wechsel – 2–3 Zyklen
Diffus: Muster, Stimmung, Optionen auftauchen lassen.
Fokussiert: Priorisieren, Entscheidung oder nächster Schritt.
Abschluss – 1 Satz
Was ist jetzt wirklich dran? Sag es. Oder schreibe es auf.
Wann ist welcher Modus gefragt?
Im Alltag und Berufsleben wechseln wir oft zwischen verschiedenen Denk- und Arbeitsmodi. Doch wann ist welcher Modus sinnvoll? Hier ein kleiner Leitfaden, um die richtige Herangehensweise zu finden.
Entdecken, Lernen, Strategie, Konfliktklärung: erst diffus, dann fokussiert
Wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln, Strategien zu planen oder Konflikte zu lösen, ist es hilfreich, zunächst einen offenen und „diffusen“ Ansatz zu wählen. In dieser Phase geht es darum, möglichst viele Perspektiven zuzulassen, kreativ zu sein und Zusammenhänge zu erkennen. Hier darf es ruhig ein wenig chaotisch zugehen – das fördert die Innovation.
Sobald genügend Informationen gesammelt und Ansätze gefunden wurden, ist es an der Zeit, in den fokussierten Modus zu wechseln. Jetzt wird konkretisiert, geplant und strukturiert. Dieser Wechsel vom diffusen zum fokussierten Denken sorgt dafür, dass aus vielen Ideen eine umsetzbare Lösung wird.
Umsetzung, Krise, Deadline, Eskalation: erst fokussiert stabilisieren, dann kurz diffus prüfen
In Phasen, in denen es darauf ankommt, schnell und effizient zu handeln – sei es bei einer Deadline, einer Krise oder einer Eskalation – ist der fokussierte Modus zunächst unverzichtbar. Hier geht es darum, Stabilität zu schaffen, Prioritäten zu setzen und die notwendigen Schritte umzusetzen. Klarheit und Zielorientierung sind in solchen Momenten entscheidend.
Doch auch in diesen Situationen lohnt es sich, zwischendurch einen kurzen „diffusen“ Blick zu wagen. Ein Moment der Reflexion hilft, zu überprüfen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Ist das Ziel noch das richtige? Gibt es wichtige Aspekte, die übersehen wurden? Dieser kurze Perspektivwechsel kann verhindern, dass man in einer Sackgasse landet oder sich in Details verliert.
Der Wechsel zwischen diffusem und fokussiertem Denken ist essenziell, um flexibel und effektiv auf unterschiedliche Herausforderungen reagieren zu können. Es geht nicht darum, einen Modus als „besser“ zu bewerten, sondern beide gezielt einzusetzen. Mit der richtigen Balance aus Offenheit und Klarheit lassen sich Probleme lösen, Ziele erreichen und neue Wege finden.
Ein persönlicher Schlussgedanke: in meiner Selbstwahrnehmung habe ich gemerkt: Mein System liebt Fokus – es fühlt sich produktiv an. Aber mein klügster Teil braucht die Weite, um überhaupt das Richtige zu fokussieren. Echte Führung ist für mich heute weniger „mehr tun“, sondern „richtiger schalten“: zwischen Laser und Weitwinkel, zwischen Verdichten und Öffnen, zwischen Wissen und Nichtwissen. Und dieses Schalten beginnt im Körper – Atemzug für Atemzug.
Wenn du magst, probiere es eine Woche lang und beobachte: Was verändert sich in Qualität der Entscheidungen, im Miteinander, in deinem Energiehaushalt? Ich bin neugierig, was du entdeckst.


